Über 30 Jahre mit OS Prothese

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Suzuki 500

Über 30 Jahre mit OS Prothese

Beitrag von Suzuki 500 » Mo Nov 07, 2005 21:42



Hallo, ich grüße Euch alle hier im Forum. Ich bin hier neu und will mich kurz vorstellen:

Mein Name ist Niko und bin Anfang 40. Ich habe seit meinem 8 LJ eine OS Prothese in Folge von Knochenkrebs. Das macht bei mir die Versorgung sehr schlecht, da bei diesen Erkrankungen sehr, sehr kurz amputiert wird und ich nur noch 10 cm Stumpf habe. Tlw. wurde sogar so radikal operiert, dass nur noch eine Beckenprothese bleibt, wass mir zum Glück erspart geblieben ist

Meine erste Versorgung damals war alptraumhaft! Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, ich gebe es aber doch mal ausführlich wieder, damit man sehen kann, welchen Fortschritt Technik und Gesellschaft gemacht haben. Meine Erstversorgung erfolgte in einem Sanitätshaus in der Werkstatt, zwischen Hämmern, Feilen, Hobelspäne und alten "Beinen" und Füßen, die überall rumlagen. Ein riesiger Holzklotz mit einem Loch in der Mitte, der mal der Oberschenkel werden sollte, stand auf einem runden Klavierhocker, den man hoch und runter drehen konnte. So gab es die ersten "Anproben". Es wurde kein Gipsabdruck o.ä. gemacht, warum die Mühe, es ging ja bereits seit dem Krieg auch anders. Nach vielen qualvollen Wochen war das "Ding" endlich fertig. Es paßte vorne und hinten nichts, ich konnte fast nur unter Mithilfe der Armstützen laufen. Die Prothese hatte ein Kniegelenk ohne Bremse und kein Fußgelenk. Verkleidet war sie nicht, es war das pure Holz mit einer sehr harten Bandage. Für einen Achjährigen aus heutiger Sicht absolut tödlich. Wie ich damals damit klargekommen bin, kann ich heute nicht mehr sagen. Es war jedenfalls die Hölle. Dauernd ist das Knie eingeknickt. Ich kann nicht sagen, wie oft ich auf den Rücken/Kopf gefallen bin. Der tägliche Schulbesuch war die Hölle. Ich war froh, wenn früh Schluß war und ich endlich zuhause das "Ding" in die Ecke stellen konnte. Da ich ja noch kräftig am Wachsen war (zu allem Unglück bin ich bei 10 cm Stumpf auch noch 2 Meter groß geworden mit Schuhgröße 50!) mußte alle paar Monate Ober- oder Unterschenkel durchtrennt werden und es kam wieder 2 cm Holzplatte dazwischen. Das ganze mit Metallbeschlägen fixiert, damit es hält. Gewicht spielte keine Rolle, ich mußte es ja schließlich durch die Gegend schleppen. Beim Verlängern wurde das Bein auch nicht exakt angepaßt, nein, es wurde gleich 1 cm mehr reingemacht, damit die nächste Verlängerung noch etwas Zeit hatte. Das Bein war dann zwar 1 cm zu lang, aber wen stört das schon?

Ich habe hier nichts übertrieben oder verfremdet dargestellt. Es hat sich tatsächlich so zugetragen. Wer heute vor einer Erstversorgung steht, sollte daher (so schlimm die Situation für ihn im Moment auch ist) unendlich dankbar sein, dass es ihm heute passiert und nicht vor 30-40 Jahren, noch dazu in einer Kleinstadt im Weserbergland. Da mich bzw. meine Eltern auch niemand auf die Möglichkeit einer Beugekontraktur hingewiesen hatte, bekam ich auch prompt eine. Und was für eine! Ist bei 10 cm Stumpf echt toll, wenn der Stumpf um 45 Grad nach vorne absteht. Wie mein Rücken heute aussieht, brauche ich wohl auch nicht näher erläutern. Der Rücken ist heute übrigends auch mein Hauptproblem, weniger das Bein.

Aber dennoch. Ich habe mich mit unendlicher Mühe durchgebissen. Obwohl ich die dritte und vierte Klasse kaum besuchte, habe ich nach dreizehn Jahren Schule das Abitur gemacht und anschließend noch ein Studium mit Diplomabschluß hingelegt. Bin verheiratet und habe ein Kind. Als Sport hatte ich das Schießen mit der Luftpistole auserkoren und war so gut, dass ich als einziger Behinderter zwischen Nichtbehinderten geschossen habe (natürlich stehend, ohne jegliche Erleichterung). Ich brachte es bis in den Nationalkader und war oft in Wiesbaden beim Bundestrainer zu Lehrgängen und zu Wettkämpfen im In- und Ausland.

Nach Beendigung der aktiven Laufbahn habe ich mir ein neues Feld gesucht und den Motorrad Führerschein gemacht. Mit dem kurzen Stumpf war das wirklich ein Angehen, aber der TÜV-Sachverständige aus Hannover zeigte nach Wochen des "gut Zuredens" endlich Einsicht. Am Tag der Prüfung gab zwar noch viel Aufregung, da der Prüfer vor Ort mich nur auf Maschinen mit Beiwagen lassen wollte und sich weigerte, auf der Solomaschine die Prüfung abzunehmen. Da ist man vor der Prüfung schon flatterig genug und dann sowas. Zwei Stunden Telefonate und endlich fuhren wir los. Der Prüfer lies keine Gemeinheit aus, damit ich endlich irgendwo einen Fehler machte, aber nach 25 Jahren Autofahren kenn ich meine Stadt in und auswendig. Da legt der mich nicht rein! Schließlich durfte ich dann alle techn. Teile besonders gut und oft machen. Zweimal am Berg anfahren, weil es so schön ist und die Vollbremsung wollte er auch zweimal sehen (einmal von vore, einmal von der Seite). Nach 75 Minuten Prüfung (jeder "Normale" hat 30-40 Minuten) war es endlich geschafft. Aber Fahren durfte ich noch lange, lange nicht. Der Führerschein konnte nur von Hannover aus erteilt werden, da noch nicht abschließend klar war, welche Auflagen denn nun noch gemacht werden müssen. Die Hirnrissigste:" Der Unterschenkel des Kunstbeines ist bei Geschwindigkeiten von über 130 km/h mit geeigneten techn. Einrichtungen an der Fußraste zu befestigen." Da zeigt sich echter Sachverstand: ich muss mich am Motorrad also festbinden, was bei einem Unfall absolut tödlich sein kann. Kein geistig normaler Mensch käme freiwillig auf so eine Idee. Nun gut, diese Auflage fechte ich noch heute an und der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung, wie mir bestätigt wurde. Von mir aus kann es noch 20 Jahre dauern....

Mit den Prothesen hat es sich nach der Erstversorgung dann doch entschieden gebessert, sonst hätte ich auch nicht soviel anstellen können in meinem bisherigen Leben. Bei der zweiten Prothese kam endlich ein Bremsknie und ein Fußgelenk. Mein Hinterkopf war glücklich (nie mehr Einknicken, obwohl, wer das Jüpa-Knie noch kennt...., es hat es in sich...) Das Fußgelenk ließ mich endlich weicher auftreten und meine Bandscheibe freute sich. Ich muß dazu sagen, dass die zweite Prothese dann auch von einer anderen Werkstatt in einer benachbarten Kurstadt angefertigt wurde und nicht mehr von dieser grausamen Bastelbude hier an der Weser.

Nach jetzt genau 32 Jahren mit der Prothese ist der Körper aber doch über jede Minute froh, an der er die Prothese nicht ertragen braucht. Durch die schwierige Versorgungssituation stellt sich so manche Blessur ein. An ein C-Leg ist bei dem kurzen Stumpf nicht zu denken und ich komme nach den vielen Jahren mit Holz auch nicht mehr mit einem Kontaktschaft aus Kunststoff klar. Ich habe es 2x versucht, aber die Umstellung war die Hölle. Daher bleibe ich lieber bei dem Holz (hoffe aber, dass bald wieder bessere Lacke erfunden werden. Bei den Lacken auf Wasserbasis klebe ich förmlich im Schaft fest. Eine sehr unangenehme und schmerzhafte Situation). Leider gibt es hier, abseits von allen Großstädten keine Selbsthilfegruppen oder Sportvereine im Behindertenbereich (eine Bosselgruppe gibt es wohl, die im Winter schwimmen geht) und ich bin immer als "Einzelkämpfer" unterwegs. Ich hoffe hier im Forum vielleicht auch mal Kontakt zu "Gleichgestellten" zu bekommen und auch mal Informationen über moderne Versorgung, denn etwas altertümlich ist mein Beinchen schon..... Auch interessiert mich der Bereich der Stumpfpflege. Alles, was ich darüber weiss, habe ich selbst an mir getestet und in Erfahrung gebracht. Sicherlich gibt es da aber noch den einen oderen Tipp, den ich als "alter Hase" auf dem gebiet der Kunstbeine noch gut gebrauchen kann. So, ich hoffe, ihr konntet mich so etwas besser kennenlernen. Und diejenigen, die in den letzten Monaten Ihr Bein "verloren" haben, sollen den inneren Schweinehund überwinden und dem Schöpfer danken, dass es heute, in dieser Zeit passiert ist. An meinem ersten Bein wurde drei Monate dran rumgestemmt, geschliffen, gehämmert und lackiert. Passend war es danach noch immer nicht und die Paßform war die Hölle.

Heute gibt es Beine zum Sprinten, Tennis spielen, Berge krackseln und vieles mehr. Das sollte doch Mut machen, auch für die weitere Entwicklung, wenn man sich vorstellt, wie es in 30 Jahren auf dem Gebiet aussieht.

Viele Grüße, Niko P.S.: So, hoffentlich hat Euch die Ausführlichkeit nicht erschlagen. Aber in 32 Jahren passiert halt viel und viele Dinge, die sich ereigneten und viele Emotionen, Motivationen habe ich weglassen müssen, obwohl ich auch gerne darüber geschrieben hätte, z.B. über meine Leidenschaft das Angeln und wie ein Super-Bremsknie am Teich richtig Freude macht. Auch hätte ich gerne über das Segeln geschrieben, denn ich habe auch einen Segelschein, segele aber heute kaum noch, da es mit Prothese sehr hinderlich ist und ohne kaum zu bewältigen. Schwimmen kann ich wie ein Fisch im Wasser, was ich vermisse sind ganz alltägliche Dinge, wie ein Waldlauf oder im Winter mit dem Schlitten fahren (was ich als Kind geliebt hatte). Auch stand ich seit meinem siebten Jahr nicht mehr auf Ski. Viele OS-Amputierte machen zwar Wintersport, aber ich sehe die große Belastung für das eine Bein und möchte lieber die Menisken noch ein wenig schonen. Wenn ihr zu der einen oder anderen Sache noch fragen habt, fragt ruhig! Ansonsten sehen wir uns sicherlich irgendwo im Forum wieder!

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Andi
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Beitrag von Andi » Di Nov 08, 2005 22:17

Hallo Suzi 500,
ist ja ´ne heiße Story die du da schreibst. Fahre übrigens eine 650´er Suzuki Geländemaschine, seit acht Jahren, allerdings mit Unterschenkelprothese.
Aber warum ist an ein C-Leg mit kurzem Stumpf nicht zu denken? Klar, jeder centimeter Stumpflänge ist Gold wert aber ich kenne einen 12cm Stumpf, Längsoval mit Seal-In Oberschenkel-Liner der wirklich ein sehr gutes Gangbild abgibt. Eigentlich solltest gerade du mit der schlechten Prothesenführung vom C-Leg profitieren. Allerdings solltest du dich dann unbedingt vom warscheinlich noch querovalen Holzschaft trennen. Mit Umstellungsschwierigkeiten ist natürlich immer zu rechnen aber du hast dich doch bis jetzt auch recht erfolgreich durchgebissen.
Was gabs denn bisher für Schwierigkeiten und warum sollte C-Leg nicht gehen?
"Alle beschriebenen Aspekte haben Modellcharakter und sollen zum weiteren Nachdenken anregen." (Zitat BUFA-Seminarunterlagen)

Gast

Beitrag von Gast » Mi Nov 23, 2005 14:40

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ironfire

Beitrag von ironfire » So Jan 08, 2006 11:49

Hallo Suzuki,

ein für Oberschenkelamputierte hervorragend geeigneter Sport ist Nordic Walking. Man kann als Prothesenträger hier sehr gut mitmachen. Der Körper wird gleichmäßig gefordert, fast alle Muskelpartien werden tangiert und es tut einem richtig gut. Voraussetzung ist allerdings, dass dein Prothesenschaft gut sitzt.

Ich betreibe Nordic Walking selbst in eine Gruppe speziell für Beinamputierte.

Du kannst dich ja mal unverbindlich darüber informieren unter

www.stolperstein.com
www.rudolf-ziegler.de

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